Ich fah’ Hauptbahnhof

Täglich, stündlich, minütlich stelle ich fest, dass irgendwas nicht stimmt. Offensichtlich ist mir eine Entwicklung entgangen. Eine Form von sprachlicher Evolution, um es genauer zu benennen.

Ich höre Sätze wie: »Ich fah‘ Hauptbahnhof«, »Ich geh ma’ eben Bäckerei«, »Hatte ich Vorstellungsgespräch, oder was?«
Übersetzung: »Ich fahre zum Hauptbahnhof«, »Ich gehe mal eben in die Bäckerei«, »Es tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich hatte noch ein Vorstellungsgespräch«.

Ich lese Dinge wie: 'Ich weis net, ob des so funzt, vllt gibts einfach ma' Wasser dazu.'
'hallowiegtsdirdenn.' 
Übersetzung: Geschenkt!

Nett ist auch: *Fingerheb* 
Ja, es gab mal Zeiten, in denen es hieß: "Ich hebe den Finger." Wahlweise war es der Zeigefinger oder der Mittelfinger. Zur allgemeinen Verdeutlichung standen einem noch Attribute zur Verfügung, wie z.B. "moralisch".
*Fingerheb* KÖNNTE also durchaus bedeuten: »Ich hebe den moralischen Zeigefinger.« 
Es könnte aber auch bedeuten: »Ich zeige euch allen den Mittelfinger.«  
Oder schlichter: »Ich hebe meinen Finger, um Aufmerksamkeit zu erwecken/um auf mich aufmerksam zu machen.«

Evolution ist eine Form der Anpassung oder Entwicklung. Meine Vermutung ist dahingehend, dass sich die Sprache in Wort und Schrift einer Limitation angepasst hat. Sie hat sich dezimiert auf das Notwendigste. Ohne Punkt und Komma, ohne Schnörkel, ohne überflüssiges. 

Und ohne Gehirnwindungen, die müssen sich ja dem zu Folge auch dezimiert haben. Denn an was sollte sich die Sprache denn sonst angepasst haben? An die Mäander des Amazonas?

Nein, ich verfalle jetzt nicht in das kollektiven Gejammere, wohin es denn mit der Sprache im Land der Dichter und Denker, der Richter und Henker, der immer undichter werdenden Lenker gekommen ist.
Ich oute mich als trendbewusstes und anpassungsfähiges Mitglied der Gesellschaft:
Ichfahstadtunwennsmichdanetfindestmussuaugenaufmachn.

Was ist los Johann-Wolfgang, schlecht gelaunt?

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